Entdecken Sie die Music Werke

450 Farbtafeln & 600 Abbildungen

Umfangreichste Werkesammlung von Zoran Music aus dem Sammelwerk von Siegbert Metelko.

656 Seiten

In diesem hochwertigen Sammelwerk von Siegbert Metelko und Charlotte Hug aus dem Jahr 2009 beginnen Sie eine wunderbare Schaffens-Zeitreise über Zoran Music.

Auf 656 Seiten finden Sie ca. 450 Farbtafeln und über 600 Abbildungen in höchster Qualität. Die Texte im Buch sind in drei Sprachen publiziert: Deutsch, English und Francais. Das Buch wiegt 5,2 kg.

Mehr über den Autor Siegbert Metelko

Zoran Music Titelseite

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Letzter Blick auf Zoran Music, den ich mehr als 25 Jahre lang bald aus der Nähe, bald aus der Ferne begleiten durfte: Der Vaporetto fährt unter dem Ponte dell´Accademia durch, Richtung San Marco. Auf der geschwungenen Estrade des Palazzo Balbi-Valier die hochgewachsene Gestalt des alten Herrn, die Abendbrise weht ihm eine Haarsträhne ins Gesicht. Es würde aber nichts helfen, ihm im Vorüberfahren ein Zeichen zu machen. Zoran Music ist nahezu erblindet. Dennoch scheint er jetzt etwas unendlich weit Entferntes angestrengt zu fixieren, als wollte er dieses Etwas unbedingt noch ergründen.

Was befindet sich hinter dem Schleier, den der graue Star vor seine prüfenden Augen gezogen hat? Was haben die Augen der in Dachau im Schnee übereinander gestapelten Toten noch erfasst, deren Blick Zoran Music nie vergessen hat? Warum hat sich der Freund Francois Mitterrand kurz vor seinem Tod nach Ägypten, ins Katarakthotel, begeben? Was wollte er unbedingt noch sehen? Hat er es gesehen? Hat er es Zoran Music noch verraten?

Zuletzt war Zoran Musics Blick eng geworden, ein Tunnelblick mit einer diffusen Ahnung von Licht am Ende der Röhre, wie auf dem Bild von Hieronymus Bosch im Museo Civico Correr auf der Piazza San Marco. Zoran Music ist auf das vorher Gesehene angewiesen: Die Totenberge von Dachau, die gequälten Menschen, die ihm aufgetragen haben, es den Lebenden mitzuteilen: „Non siamo gli ultimi.“ Die trockenen Karsthänge Dalmatiens mit ihren

Pferdchen und Eselchen. Die roten Fassaden Venedigs, die Frühnebel über den Kähnen, die an den Zattere tümpeln; täglicher Spaziergang, von seiner Wohnung aus. Und, immer wieder, lebenslange Faszination und Obsession, dass Antlitz der Geliebten, der  geheimnisvollen venezianischen Frau mit der kastanienfarbenen Mähne: Ida. Viel schattenhafter die Erinnerung an das eigene Spiegelbild. Es wurde, über die Jahre, zu einer Ikone, nicht seines Ich, sondern des Unnennbaren hinter jedem Ich.

Ich entsinne mich des luziden vorausahnenden Porträts, das Raymond Cogniat schon 1972 über Zoran Music verfasst hat: Erst viel später ist er zu dieser Gestalt geworden.

Und Jacques Lassaigne, Direktor des Musée de l´Art Moderne de la Ville de Paris, meinte im selben Jahr:

Musics Arbeit ist kein Aufschrei des Aufbegehrens, sie erhebt keine Anklage. Vielmehr ist sie eine Meditation dessen, was er in den Konzentrationslagern erlebt hat. Er hat selbst alle Kreise der Hölle durchschritten. Aber heute bewahren die schrecklichsten Themen unter seiner Hand eine Art Diskretion, eine Art Reinheit. Das Bild spricht durch sich selbst, ohne jemals theatralisch oder literarisch zu werden. Goya begnügte sich damit, unter manche seiner Radierungen zu schreiben: „Das habe ich gesehen.“ Music offenbart das Leid, erlöst es gewissermaßen. Durch den magischen Akt der Malerei verwandeln sich die tragischen Gestalten, die er beschwört, in seltsame Blüten. In den hervortretenden Knochen der Antlitze, in den Augenhöhlen und in den Mündern sammeln sich zarte Schatten. Der Tod, nicht mehr von außen betrachtet, sondern in dieser Intimität, erhält eine beunruhigende Anziehungskraft. In ihrem Verfall nehmen die ausgemergelten menschlichen Körper ungeheure Dimensionen an: Erscheinungen, die eine direkte Sprache sprechen. Über tiefen Schwarztönen spielt eine Palette farbiger Abstufungen, zartes Rosa, Grau und Ocker. Ein Zeugnis dafür, dass die Kunst das Leben ist.

Aber wie vermag ein Mensch mit diesen Erinnerungen zu leben, auch wenn er sie Jahr um Jahr auf seine Bilder bannt? Im Verlaufe unserer Freundschaft hatte ich wieder und wieder Gelegenheit, mit Zoran Music über sein existenzielles Geheimnis zu sprechen.

Bis auf den heutigen Tag spüre ich, dass mir die Augen der Sterbenden folgen. Sie lassen mich seither nie mehr allein: Ich sehe sie noch immer, die  hunderten Blicke, die mich um Hilfe anflehten, die mich wohl auch anklagten, wenn ich in der spukhaften Landschaft des Konzentrationslagers über ihre Körper kletterte, mir einen Weg bahnte. Glänzende Augen, die damals still um die Hilfe jener wenigen baten, die noch imstande waren zu gehen. Wenn dann der Abend kam, wurden die Sterbenden und die anderen, die man bereits für tot hielt, übereinander geschlichtet wie Holzscheite. Es sah aus wie ein Scheiterhaufen, beinahe eine Art Turm. Ein spukhafter Turm: es kam mir vor, dass er zitterte und knarrte. Aber diese Geräusche, sie waren vielleicht nichts anderes als das letzte Röcheln der Sterbenden. In der Nacht hat es dann leicht zu schneien angefangen, es war März; und am nächsten Morgen bewegte sich der Turm nicht mehr.

Es war eine absurde, irreale Welt, in der man im Konzentrationslager lebte. Die Regeln waren fremd, aber es gab eine penible Ordnung; sie war grausam, über die Grenzen des Denkbaren hinaus grausam. Jeder, der nur die geringste Machtbefugnis innehatte, durfte dich zertreten wie einen Wurm. Aber seltsam: wir nahmen diese Wirklichkeit hin, so, als gäbe es keine andere mögliche Ordnung. Am Ende zweifelte man, ob es jenseits des Stacheldrahtes überhaupt noch eine Außenwelt gab.

Warten, Apathie. Ich lebte in einer Landschaft der Toten und der Sterbenden. Nichts als Leichenhaufen. Ein grausiges Bild verfolgt mich: Es war Mittag. Ein lebendes Gerippe von Häftling hielt seinen Napf ganz fest in den Händen. Er suchte eine ruhige Ecke, wo er seine Suppe schlürfen konnte. Die war nicht nahrhaft, aber zumindest warm. Er setzte sich auf einen freien Platz. Es war der Kopf eines Toten . . .

Stets gab sich Zoran Music unnahbar, vielleicht besonders seinen Freunden gegenüber; und einfach war der Umgang mit ihm nie. Er schätzte es, wenn man ihm, und damit einer herrschaftlichen mitteleuropäischen Lebensform, die er als der Letzten einer noch verkörperte, Respekt zollte. Man darf nie vergessen, dass er ein Herr war; die Spezies ist beinahe ausgestorben.

Er duldete es, nicht ohne feine Ironie, wenn man, mit Jeans bekleidet, am Fußboden seines Pariser Ateliers oder seiner venezianischen Klausur, unter der Altane mit der Aussicht auf die Lagune, auf den Knien rutschte, um nach Blättern zu suchen. Er nahm es wie eine Huldigung entgegen, die man ihm schuldig war. Gnädig wie ein König von Gottes Gnaden und lächelnd. Einfache und zugleich exquisite Dinge waren es, die ihm Vergnügen bereiteten. In diesem Sinne dürfte er einer der letzten Dandys des Kontinents gewesen sein, ganz im Sinne Baudelaires. Ein Diner mit Mitgliedern ältester venezianischer Familien im rot tapezierten Restaurant an der Ecke des Quai Voltaire mit der Rue du Bac, unter dem Atelier Idas. Und mit Ida als der Königin des Abends. Ein Ausflug in das kärntnerische Griffen, wo er zwei Jahre seiner Kindheit verbracht hatte. Das Haus, wo er mit Eltern und Geschwistern gewohnt hatte, sollte abgerissen werden. So, als gehörte es ihm, stieg er hoheitsvoll die Treppe hinauf, öffnete die Tür zu seinem Zimmer und inspizierte es, nicht ohne sein undefinierbares Lächeln. Die sachliche Feststellung folgte: Hier war mein Bett. Der Kamin ist noch da. Dann ging es zu den slowenischen Klosterschwestern in Völkermarkt; in ihrem Konvent war er in die Schule gegangen. Er bestand darauf, hier abzusteigen. Jetzt kam er als Grandseigneur. Mit ernster Ironie, diese verließ ihn nie, ließ er sich von den ehrwürdigen Schwestern Kaffee servieren. Bei der Heimfahrt ein Sonnenblumenfeld. Er ließ anhalten, stieg aus, lächelte unmerklich. Er hatte die verlorene Zeit wiedergefunden.

Wann er angefangen habe zu malen, fragte ich Zoran Music einmal. „Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Aber eines weiß ich: ich habe mir nie vorstellen können, etwas anderes zu sein als Maler.“

Zoran Music war ein Mensch Mitteleuropas. Mitteleuropa, das ist jener fast unbekannte Kontinent im Kontinent, der

dem größeren Ganzen eingefügt ist wie eine russische Puppe. Mitteleuropäer, alle Mitteleuropäer, Slowenen, Ungarn, Tschechen, Slowaken, Österreicher, Kroaten, Polen, und und, halten sich und ihre geographisch nie ganz definierbaren Heimaten jeweils für das „Herz Europas“. Und weil sie Skeptiker und wohl auch Hypochonder sind, betrachten sie dieses Herz mit Argwohn. Mit einem historisch berechtigten Argwohn. Karl Kraus hat (indem er vom alten Österreich sprach) die Gegend als Laboratorium für Weltuntergänge charakterisiert.

Um eine Vorstellung von dem mythisch-historischen Begriff Mitteleuropa zu geben, werfen wir einen Blick auf die Stadt Görz/Gorizia/Gorica, wo Zoran Music geboren wurde. Es ist eine weder ethnisch noch historisch definierbare Stadt: Metropole einst einer Grafschaft, zu welcher sowohl der gesegnete Collio gehörte, als auch die Täler des heutigen Osttirol.

Görz grenzte an die Republik Venedig, war mit der Lagunenstadt kulturell innig verbunden, politisch aber verfeindet. Auf der einen Seite das Haus Österreich, Erbe der Görzer Grafen, auf der anderen die Venezianer in ihrer sternförmig angelegten Festung Palmanova. Man sah sich in die Augen und man misstraute einander; argwöhnisch und doch aufeinander angewiesen: durch die gemischte italienisch-friulanisch-slawische Bevölkerung, durch katholische Traditionen, nicht zuletzt durch die Nahrung: Mare è Montagna. Waldpilze und Meeresfrüchte, Polenta, schwarzer Wein.

Mitteleuropa also. Herz, Bauch, aber auch neuralgischer Punkt des Kontinents. Zoran Musics Biographie erscheint mir wie ein Konzentrat der Geschichte des „Kontinents im Kontinent“. Als er am 12. Februar 1909 geboren wird, befindet sich Görz, eine zumindest dreisprachige Stadt, noch unter den Fittichen des hethitisch-byzantinisch- österreichischen Doppeladlers. Görz, wie auch Triest, sind Asylorte für Gestrandete des Welttheaters.

In Görz, auf dem heute slowenischen, seit dem 1. Mai 2004 gemeinsam europäischen Hügel Castagnavizza, ruhen in der Krypta des Franziskanerklosters die Überreste der letzten direkten Nachkommen des heiligen Ludwig: König Karl X. von Frankreich, der 1830 seines Thrones verlustig ging, nachdem sein Bruder Ludwig XVI. 1793 unter dem Fallbeil gestorben war und sein anderer Bruder, Ludwig XVIII., versucht hatte, die Herrschaft des Hauses Bourbon nach der Revolution und dem Empire Napoleons neu zu etablieren. Daneben ruht seine Nichte, die unglückliche Tochter Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes, ebenso wie sein Enkel, der Graf von Chambord, der sich zwar Henri V. nannte, aber nie mehr König wurde.

In Triest verstarb Joseph Fouché, der schreckliche Terrorist der Französischen Revolution, der „Schlächter von Lyon“, Königsmörder, später Polizeiminister Napoleons und noch später des Königs, nachdem er, der abtrünnige Priester, mit seinem Gott Frieden geschlossen hatte. Jeden Tag war er am Kommuniongitter von Santa Maria Maggiore gekniet. Im Dom von Triest liegen Infanten von Spanien begraben, Nachkommen jener Könige, die Goya als Hofmaler beschäftigten.

Ebenso das moralische Universum: gerade dort, wo am Collio der Wein reift, dort brachten im Ersten Weltkrieg eine Million Soldaten einander ums Leben, mittels Artillerie, Maschinengewehr, Bajonett, Giftgas. Erste Erfahrung des Kindes Zoran Music mit der so genannten Geschichte: es heißt fiehen, aus dem verwüsteten Paradies, nach Norden, in die Steiermark, nach Kärnten. Erste Erfahrung: die Menschen bringen einander um. Heimaten sind immer und überall Gegenden, die der Mensch zu verlassen gezwungen ist. Die Strecke, auf welcher das Kind mit seinen Eltern nach Norden fährt, wird Zoran Music noch einmal, und wieder unfreiwillig, fahren. Nachdem er 1943 in Venedig von der Gestapo genau vor dem Tor jenes Palazzo verhaftet worden ist, in den sein weiteres Leben führen würde, nachdem er mit anderen Widerstandskämpfern im Konzentrationslager der Risiera di San Saba in Triest eingesperrt war, wird er im Viehwaggon ins KZ Dachau deportiert.

Das Wort „Non siamo gli ultimi“ drängte sich ihm damals auf: Wir sind nicht die Letzten. Die Verfolgung des Menschen durch den Menschen ist nicht zu Ende. Sie wird nie zu Ende sein. Aus Musics Werk spricht eine, sehen wir von Goya ab, beispiellose Drohung, aber auch eine Warnung für sämtliche Generationen: Wir sind nicht die Letzten.

Zwischen den Erfahrungen des Kindes und des Mannes die Erforschung des so früh angelegten Universums. Das Erlebnis Dalmatien mit den trockenen Felsen, die ins Meer stürzen, die herbe Traurigkeit des Karst, das Erlebnis Spanien, wo eigene Neigung mit dem genius loci zusammenfallen. Goyas mitfühlende, mitleidende, in der Darstellung des Geschauten aber sachliche Illusionslosigkeit vor dem Elend der Menschen, die reduziert silbern schimmernde Palette seiner letzten Jahre, die knappe, farbreduzierte Malerei des Velazquez. Kastilien, das „Land der Steine und der Heiligen“ des Miguel de Unamuno, das Land der Mystiker und Don Quijotes (an den Zoran Music bisweilen erinnerte) hat Mitteleuropa mitgeprägt. Zweihundert Jahre lang ist

Spanien mit dem mitteleuropäischen Raum gewissermaßen verheiratet gewesen. Hier, in Spanien, im Umgang mit seinen Meistern, hat sich Zoran Music die Fähigkeit erworben, das Unmalbare dennoch zu malen. Er ahnte damals nicht, wie nötig er diese spanische Lektion einmal gehabt haben würde. Doch die traumatische Erfahrung der Kindheit erweist sich noch einmal als unwiderlegbar: Es heißt fiehen, von einem Exil in das andere. Als 1936 der Bürgerkrieg in Spanien ausbricht, heißt es auch, von dieser philosophischen und malerischen Heimat Abschied zu nehmen.

Der trotz Mitgefühls illusionslose Blick der Spanier, allen voran Goyas Einsicht in die überaus reale Hölle menschlicher Bosheit und Grausamkeit, wird Zoran Music helfen, das ultimative Grauen zeichnend und malend zu überstehen. So erzählte er mir über seine Versuche, die Erfahrung Dachau, auch vielleicht aus Selbstschutz, zu bannen:

Ganz zögerlich fing ich an zu zeichnen. Vielleicht war das eine Möglichkeit, mich innerlich zu befreien, dachte ich mir. Zuerst waren es Versuche, Dinge festzuhalten, die ich auf dem Weg zur Fabrik, wo wir arbeiten mussten, wahrgenommen hatte. Die Ankunft eines Transports, die heraustretenden Augen von Menschen, die wahnsinnig waren vor Hunger und Durst, die vor Schmutz starrten.

Später ergriff mich eine unglaubliche Zeichenwut. In den letzten Wochen des Konzentrationslagers fand ich Papier und Tinte. Es war schon eine Art Trance, ich war wie geblendet vom schwindelerregenden Pathos der Leichenfelder. Sie schauten von weitem aus wie weiße Schneehaufen, wie der silbrige Reflex schneebedeckter Berge. Tausende Details fielen mir auf, wenn ich zeichnete. Die zerbrechlichen Körper waren von einer seltsam tragischen Eleganz: die Hände, die dünnen Finger, Die halboffenen Münder, die zuletzt noch ein wenig Luft holen wollten. Und die Knochen. Sie waren von einer weißen, bläulich angelaufenen Haut umhüllt . . .

Die Zeichnungen versteckte ich unter Maschinen. Es waren etwa zweihundert Blätter. Ungefähr fünfunddreißig sind davon übriggeblieben.

Die Monstrosität der Konzentrationslager, ich denke immer daran. Was sich dort Tag für Tag ereignet hat, ist nicht zu ermessen. Ich habe das Unerträgliche erfahren. Erst später habe ich die Dimensionen dieser Lektion begriffen. Mit dem Abstand der Jahre scheint es mir, als ob diese Katastrophe vor einem Jahrhundert geschehen wäre. Gleichzeitig glaube ich, dass es erst gestern war. Das Positive an der Erfahrung ist, dass sie mich zum aktiven Denken gezwungen hat. In der Kunst erzählt man sich selbst und nichts anderes. Alles bloß Illustrative vermag mich nicht zu berühren, weil es letztlich doch an der Oberfläche bleibt. Ich wurde einmal gefragt, ob in der Transformation der absoluten Katastrophe in Kunst nicht eine Art Stärke liege. Ich sagte darauf: Ich hoffe doch, dass es eine solche Stärke gibt. Aber kontrollieren könnte ich sie nicht. Zu viel

Bewusstheit, zu viel Kontrolle erzeugen ein System. Ich aber misstraue Systemen und fertigen Formeln zutiefst. Es ist mir immer darum gegangen, das Illustrative, das bloß Schildernde zu vermeiden. Wäre ich Schriftsteller, so würde ich mich nie mit Schilderungen aufgehalten haben. Es wäre mir um die inneren Schmerzen, um das Unsichtbare gegangen. Noch einmal: Die Illustration, die Schilderung in jeder Form stört mich. Sie kann gar nicht anders, als an der Oberfläche zu bleiben. Was bleibt von einem Bild? Das weitergetragene Licht. Was behält der Leser von einem Buch? Die Emotion, die von den handelnden Personen weitergegeben wird. Das, was man Erzählung nennt, ist doch nichts anderes als Schnörkel. Deshalb steht mir Paul Celan so nahe: seine Konzision und seine Scheu vor großen Worten.

Noch einmal: ein Künstler illustriert nicht. Was ich erlebt habe, musste in meinem Inneren reifen.

 Im Lager Dachau hatten wir eine gemeinsame Überzeugung: Niemals mehr darf sich dergleichen ereignen. Bis heute aber widersprechen Geschichte und Politik diesem unserem leidenschaftlichen Wunsch.

Nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zieht es Music wieder zurück nach Venedig. Er beginnt von neuem an dem magischen Ort, von wo aus er seine Höllenreise nach Dachau angetreten hatte. Venedig als Gegenwelt dieser Hölle. Und als Ort der künstlerischen Neubesinnung:

Zurückgekehrt nach Venedig, habe ich zum ersten Mal die byzantinische Kunst bewusst wahrgenommen. Es war wie ein Erwachen und ein Schock zugleich: Die Byzantiner standen in einer Beziehung zu meiner Gegend.  Ich entdeckte die Mosaiken von Venedig und Ravenna: Gesehen hatte ich sie ja schon vor dem Krieg. Und mit den Byzantinern erschlossen sich mir auch die Sienesen mit ihrem geheimnisvollen himmlischen Goldgrund. Und die frühen Florentiner. Ich liebte Cimabue, Giotto und Uccello. Als ich 1948 zum ersten Mal die Toskana bereiste, war ich hingerissen vom blendenden Weiß der sienesischen Hügel. Daraus sind dann meine sienesischen Landschaften entstanden.

Es zählt zu den raren Glücksfällen meines Lebens, dass ich Zoran Music kennen gelernt habe. Ich war 1984 dienstlich in Paris, es ging um die internationale Vorstellung des Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Preises, den ich damals als für Kultur zuständiger Politiker und Vizebürgermeister der Stadt Klagenfurt zu betreuen hatte. Zuvor hatte ich in einer venezianischen Galerie mein erstes Music-Bild erworben, eine Druckgraphik mit dem Titel „Traghetto“. Das war 1978 gewesen. Jetzt, in Paris, bot sich die Gelegenheit, den aus der Distanz verehrten Künstler auch persönlich kennen zu lernen; also rief ich ihn an. Er hat mich für einen der nächsten Tage in sein Atelier bestellt, damals in der Rue des Vignes, in Passy. Der legendäre russische Sänger Shaljapin soll dort eine Wohnung besessen haben.

Zoran Music, als er mir die Tür öffnete: eine überwältigende Persönlichkeit. Da stand er in seinem langen hellen Hausmantel, der ihn wie einen Mönch aussehen ließ. Erst später begriff ich die unbewusste Symbolik dieses Mantels. Zoran Music hatte durchaus etwas von einem weltlichen Mönch an sich, mit seinem gleichfalls mönchischen Hang zur strengen Gewissenserforschung, mit seinen Skrupeln, der Nachwelt etwas nicht völlig Vollendetes zurück zu lassen. Ich musste sehen, dass er Werke, die nicht mehr seinen eigenen Qualitätskriterien entsprachen, aus dem Verkehr zog, indem er sie vernichtete. Zweihundert handschriftliche Seiten bewahre ich bei mir auf, Zeugnisse von den Begegnungen vieler Jahre, die schließlich zu einer Art Freundschaft mit dem ansonsten Unnahbaren wurden.

So hat er mir einmal eine seltsame Geschichte mit Kärntenbezug erzählt: Einige seiner Radierungen gefielen ihm nicht mehr. Er kaufte sie also von einer Galerie in St. Gallen zurück. Nachdem er sie dort abgeholt hatte, überquerte er auf der Heimreise nach Venedig den Großglockner. Am Straßenrand lag noch der Schnee. Music hielt an, stieg aus dem Auto und begrub die Blätter unter den Schneewächten. Das hat seine Vorgeschichte in der französischen und der mitteleuropäischen Kultur: Jean Racine verfügte, dass sein Nachlass verbrannt werden sollte; nichts mehr genügte seinem eigenen radikalen Anspruch. Ebenso verfügte Franz Kafka, sein Werk zu vernichten, was dann glücklicherweise doch nicht durchgeführt wurde. Das eisige Begräbnis beinahe der gesamten Auflage dieser Serie hatte schon in den Fünfzigerjahren stattgefunden, wie mir Music an einem Vormittag in seinem Atelier erzählte. Er sah, wie ich am Boden nach verworfenen Blättern suchte.  Und setzte hinzu, dass er auch Aquarelle aus dem Jahr 1965, sie waren im Apennin entstanden, auf ähnliche Weise aus dem Verkehr gezogen habe …

Als Künstler zählte Zoran Music zu den Stillen im Lande. Nach seinen existentiellen Erfahrungen in Dachau konnte er es sich leisten, Moden und Stile zu ignorieren. Er kümmerte sich einfach nicht mehr um das Viele, das sich jedes Jahr als „neu“ rühmte. Auch gegen etwas trat er nicht auf. Als Bürger Venedigs besuchte er, Ida am Arm, regelmäßig die relevanten Ausstellungen, insbesondere im Guggenheim-Museum, ein paar Schritte von seinem Domizil entfernt. Als Citoyen Frankreichs pflegte er die geradezu mystische Freundschaft mit dem Präsidenten Mitterrand. Ida hat ihn offenbar so gemalt, wie er sich selbst sah: als einen Erleuchteten.

Überhaupt Ida: Das innig verbundene Paar lebte quasi getrennt. Music rief sie an, wenn er sie besuchte. In Paris oft über weite Distanzen, in Venedig von Stockwerk zu Stockwerk.

Ida, das war eine eigene Welt: ihre atemberaubend schönen Arbeiten sind unendlich weit von den seinen entfernt. Kein Einfluss, keine Parallele. Von den „Stühlen“ über die okkultistischen Mitterrand-Bilder bis zu den grausam- dionysischen Interpretationen griechischer Mythen, die sie zuletzt in den Salzmagazinen Venedigs ausstellte. Ida war die Gegenwelt, die Zoran Music brauchte, um zu überleben. Angebetet als Frau, gleichrangig als Künstlerin, geheimnisvoll überlegen: sie war die Inkarnation seines Venedigs, der Stadt der Fatalität, der Sehnsüchte, der Einsicht.

Der Kreis schließt sich: der alte, fast blinde Herr, blind wie der Seher Teiresias, blind wie Homer, der vom Balkon des Palazzo Balbi-Valier auf sein Leben zurückblickt, der traurig-ironische Wegweiser und Weggefährte durch viele Jahre, der es nicht mehr wahrzunehmen vermochte, als ich zuletzt im Vaporetto an seiner noblen Gestalt vorbeiglitt. Er hat mein Leben verändert.

Siegbert Metelko

Die Poetik des Schweigens

Etwas später traf ich den Menschen Music und hatte erneut dieses Gefühl. Als imposante Silhouette in schwarzem Leder sah ich ihn nur kurz bei einer Vernissage. Schüchterner Austausch von Höflichkeiten, neugierige Blicken. Seine dunklen Augen verunsicherten mich stark. Ich entdeckte aber auch eine ganz unerwartete Sanftmut bei einer so selbstsicheren körperlichen Präsenz.

Dann gab es noch weitere Treffen, in Paris und in Venedig, leider zu kurz! Es war zudem die Zeit, als die Sehkraft Musics stark nachgelassen hatte und seine zwar immer noch strahlende Vitalität an Glut verlor.

Ich glaube an Begegnungen, Zufälle, Zeichen. Ohne zu zögern vertiefte ich mich daher in ein Werk, dessen Schwung und Geheimnis nicht nur mir Fragen stellten, sondern mir auch immer wichtiger wurden.

Natürlich war zuerst der Schock über die Berge von Toten in Dachau. In diesem Zusammenhang von Kunst zu sprechen wirkt immer anstößig. Wie kann man zeichnen was man innerhalb eines Konzentrationslagers sieht? Wie kann man die Realität von Dachau ertragen? Ein Vierteljahrhundert später macht er sich von diesem Grauen frei. Erst 1970 malt er seine Visionen. Music erklärte das so: „Nach dem Anblick dieser Leichen ohne jedes äußere Merkmal, frei von allem Überflüssigen, entledigt der Maske der Heuchelei und der Auszeichnungen, mit denen sich die Menschen und die Gesellschaft schmücken, glaube ich, die schreckliche tragische Wahrheit entdeckt zu haben, die zu erlangen mir gegeben war“.

Lacan sagte: „das Notwendige ist, was nicht aufhört, geschrieben zu werden“1. Music legt auf seine Art darüber Zeugnis ab, ganz in der Art der Geschichte der modernen Kunst. Hätten beispielsweise die Schöpfungen von Antonin Artaud und Henri Michaux dieselbe Wirkung ohne ihr schriftliches Werk?

Ist „Wir sind nicht die Letzten“ ein direktes Echo auf das Buch von Primo Levi „Ist das ein Mensch“, dessen Kapitel 16 „Der Letzte“ heißt? Oder ist es eine Warnung an die Welt, da Music diese Serie in einer Zeit gemalt hat, da überall Kriege ausbrechen?

Nach dieser Konfrontation mit dem nicht Sichtbaren und Unbeschreiblichen schreite ich fort auf dem Weg von Music und erinnerte mich an „Der Weg ist das Ziel“. Und das war die Rückkehr in eine Vergangenheit, von der ich überhaupt nichts wusste: Musics Kindheit in Dalmatien, einem mediterranen Land. Trockene Karstlandschaften, ausgedehnte Felsketten, Hügel wie Kuppeln mit kleinen Pferden auf dürren Beinen, gedämpfte Farben des Regenbogens, kleine trappelnde Esel, mit Frauen in üppigen Formen, die sich unter riesigen Schirmen vor der Sonne schützen, oder auch Bauern, die ihre Herden auf Karren verladen, um sie zu anderen Pferchen zu bringen. So viele ländliche Szenen mit äußerstem Feingefühl, voll kindlicher
Bewunderung und Frische.

Muss ich noch gestehen, dass ich nicht mehr nach Venedig gehen kann – in dieses Venedig, das lange Zeit für Music eine unerreichbare Fata Morgana war – , ohne dieses große Schauspiel der Lagune zu erleben, das er auf seine Art in seinem Inneren zelebrierte und so das Unsichtbare verfolgte: diese venezianischen Fassaden im Dämmerlicht, die den Eindruck vermitteln, in das flüssige Element getaucht, aber trotzdem ihrer Unvergänglichkeit gewiss zu sein. Music betonte die Bedeutung, die er der Dämmerung einräumte. Der Augenblick, wo sich für ihn die Einsamkeit zu Reichtum wandelt und mit Spannung belädt im Verschwinden des Lichtes. Seine Bilder schmuckloser Kathedralen, jedoch golden strahlend, strahlend fast unmerklich, zum Schauen anregend, überzeugen von der Wahrheit seiner Vision, er der von sich sagte, geträumt zu haben mit geschlossenen Augen zu malen.

Das Reale bis zum Exzess klärend, bezeugt die Malerei von Music, dass Einsamkeit und Stille nicht unbedingt im Leeren enden, sondern sehr wohl im „Vollen“, einem
kostbaren Element der menschlichen Existenz. Beweis dafür sind seine Dogana, seine Zattere, seine Felsenlandschaften, und natürlich seine unglaublichen Pflanzenmotive, krumm, gemartert, deren Buschlabyrinthe sich strecken auf der Suche nach dem Leben. Für Music ist die Natur – also das Leben – niemals bezwungen. Aber man muss ins Innere der Dinge eindringen, sowohl bei Landschaften als auch bei Menschen, um ihre Quellen bloß zu legen.

Von diesen Bildern, die aus dem Inneren kommen, hat uns Music überragende Beispiele gegeben mit seinen Selbstporträts und seinen Ateliers, in denen er als alternder Mann ohne Scham sein Inneres enthüllt, manchmal neben oder gegenüber seiner Freundin Ida, in fast transparenter Schönheit, als Zeuge – oder Gefährte? – unbewegt, aufmerksam und geheimnisvoll in einer geistigen Suche ohne Ende.

Wie sollte man nicht bewegt sein vor diesen Bildern, deren Traurigkeit sich in überraschende Zartheit, völlige Heiterkeit wandelt? Camus sagte: „… Die Ewigkeit ist da, und ich erhoffte sie. Nicht glücklich zu sein wünsche ich jetzt, sondern allein bewusst zu sein.“

Zoran Music ist dort angelangt, heiter, obwohl er die unglaubliche Grausamkeit der Menschen kennen gelernt hatte.

Charlotte Hug

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